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Feb 23, 2018
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Wie viel Freiheit braucht ein Hund?

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Gedanken zum Thema: Große Freiheit oder arm dran?

„Aber der muss doch mal rennen dürfen“! Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe, wenn es um Hundeerziehung geht. Natürlich braucht jeder Hund ausreichend frische Luft und Bewegung, um gesund zu bleiben. Ich bin aber der Meinung, dass viele Hundebesitzer die Vorstellung eines herumrennenden Vierbeiners viel zu sehr im Fokus haben. Aber mal langsam und der Reihe nach:

Der Hund als „soziales Rudeltier“ ist nun mal kein Einzelgänger, wie beispielsweise eine Katze, die ja bekanntlich gerne alleine und erfolgreich jagen geht. Für Wölfe, die Vorfahren unserer Haushunde, ist es dagegen seit ewigen Zeiten überlebenswichtig, Teil eines beständigen, intakten Rudels zu sein. Droht plötzlich Gefahr oder bietet sich die Gelegenheit, Beute zu machen, muss das Rudel eine Einheit sein. Er hat von daher keine menschlichen Ambitionen von Freiheit und Selbstverwirklichung. Bei so einem Herumgerenne und ständigen Auseinanderdriften, wie das in unserer modernen Gesellschaft „normal“ ist, hätten diese Tiere gar nicht überleben können. Dieses Wissen tragen unsere Stubenwölfe noch instinktiv in sich. Auch sie fühlen sich noch als soziale Rudeltiere und brauchen die enge Bindung an ihre Rudelgenossen, bzw. ihre Bezugspersonen. Hunde sind von Natur aus keine Einzelgänger wie Katzen!

Nun wird manch einer sagen: „Mein Hund jagt aber auch sehr gerne alleine!“

Befinden sich Hunde auf dem Selbstverwirklichungs-Trip, tun sie das aber eher gezwungenermaßen, wenn ihre Menschen sich nicht wie Sozialpartner verhalten. Dass diese Hunde mit zunehmender Gewohnheit Gefallen daran finden, lässt sich leider nicht bestreiten.

Wie Hunde mit zu viel Freiheit umgehen

Wie Hunde mit zu viel Freiheit umgehen hängt unter anderem von ihrer Rassezugehörigkeit und ihrem ursprünglichen Verwendungszweck ab. Border Collie Jerry, über dessen Absturz ich auf Seite drei berichtet habe, nutzt, als Vertreter einer sozial stark abhängigen Hütehundrasse, seine erzwungene „Freiheit“ nicht aus, um sich davon zu machen. Stattdessen versucht er unermüdlich, einer vermeintlichen Aufgabe gerecht zu werden, mit der er allerdings absolut überfordert ist: Alleine das Haus und das darin befindliche Herrchen zu „hüten“.

Jerry würde es besser gehen, wenn ihm von seinem Menschen ein Liegeplatz in dessen Nähe angewiesen und er ab und zu mal mit kleinen Aufgaben und Anweisungen beschäftigt würde, anstatt ihn dermaßen sozial auszugrenzen.
Anmerkung: Das heißt natürlich auf gar keinen Fall, dass es richtig ist, einen Hund andauernd dazu zu verdonnern, auf der Decke oder in der Box zu liegen, weil niemand Zeit für ihn hat!

Solitärjäger

Hunde wie Jerry entwickeln sich bei fehlender sozialer Kontrolle zu nervösen, hektischen und unsicheren Tieren. Andere sind da anders, denn auch sie haben durch Zuchtselektion bestimmte Wesensmerkmale: Für sich selbst auf eigenes Risiko zu entscheiden und zu handeln! Es sind die sogenannten Solitärjäger – spezielle Jagdhunde, die ohne Hilfe des Menschen arbeiten sollen, wie zum Beispiel Dackel und kleine Terrier. Befindet sich solch ein Solitärjäger im Fuchsbau oder in einem Keller voller Ratten, wird er im Bedarfsfall nicht nach oben gehen, um zu fragen, was er jetzt machen soll. Er handelt!

Darum sagt man Dackel, Jack-Russell und Co. den sprichwörtlichen „Sturkopf“ nach. Was natürlich auch gewissermaßen stimmt. Das Fatale dabei ist, dass viele Besitzer dieser Rassen daraufhin erst gar nicht den Versuch machen, ihre Tiere zu erziehen, weil „das ja gar nicht geht“ und weil „die ja viel zu stur sind“.

Erziehung unmöglich?

Vor einiger Zeit nahm eine Frau mit ihrem Beagle Sam bei uns am Gruppenunterricht teil. Obwohl nur kleine und einfache Übungen gefordert wurden, sagte Anne jedes Mal: „Das macht der nicht!“ Aber das stimmte gar nicht. Sam machte gut mit und konnte auch alles. Am Ende sprachen wir Anne, die über ihren Beagle nun völlig überrascht war, darauf an und sie erklärte, sie habe das immer geglaubt, weil ihr alle gesagt haben: „Ach, du hast einen Beagle? Das brauchst du gar nicht versuchen, die hören sowieso nicht.“

So kommt es, dass unnötig viele Hunde herumlaufen, die ihrem Sturkopf-Image ständig alle Ehre machen: Sie gehören a) einer Rasse an, die von Haus aus sehr unabhängig ist und sind b) nicht darin beeinflusst worden.

Beagle und andere Meutehunde

Die als Familienhunde sehr beliebten (und viel empfohlenen) Beagle gehören zu den Meutehunden und sind von Natur aus bereits sehr selbstständig. Denn eine Meute ist im Gegensatz zu einem Rudel eine willkürlich zusammengestellte Hundegruppe, die alle nur eins im Sinn haben: Die Jagd auf den flüchtigen Fuchs. Dabei bilden sie aber kein Team, sondern jeder jagt für sich allein. Darum sind diese Hunde auch nicht sehr sozial. Man wollte sie gar nicht so haben. Beagle müssen sich auf engstem Raum, zu vielen zusammengepfercht, zur nächsten Jagd problemlos transportieren lassen und sollen auch kein starkes Interesse an den mitgebrachten Hunden der anderen Jäger haben. Sie sollen ihren Job machen und sonst nichts. Diese „angezüchtete“ Wesensart wurde ihnen allerdings zum Verhängnis: Sie eignen sich hervorragend als Laborhunde, denn man kann sie gut massenhaft in engen Zwingern halten.
Also ist auch der Beagle, wie alle Meute-Jagdhunde, davon überzeugt, bestens alleine klar zu kommen. Diese Tatsache, kombiniert mit einem starken Jagdtrieb, ist der Grund, warum man sehr selten einen Beagle sieht, der nicht an der Leine gehalten werden muss.

Natürlich ist es Quatsch, zu behaupten, dass man hier gar keinen Erziehungsversuch machen braucht. Es gibt durchaus Menschen, die ihre Dackel, Beagle und Terrier gut im Griff haben und sie sogar zuverlässig heranrufen können. Aber die sind leider eher selten, denn es braucht einiges an Geduld und Wissen mehr, als bei manch anderer Rasse der Fall ist. Und – man muss so früh wie möglich damit beginnen, Einfluss zu nehmen, um sie in die gewünschten Bahnen zu lenken. Lässt man ihnen hingegen lieber ihre „Freiheit“, nehmen sie sich immer mehr davon heraus. Statt auf das Rufen und Pfeifen ihrer Menschen zu reagieren, denken sie: „Du kannst mich mal“ und man wird bald vergeblich hinter ihnen her brüllen.

Kennen Sie den alten Witz? :

„Mein Hund gehorcht sehr gut! Wenn ich rufe: Kommst Du jetzt hierhin oder nicht!? Dann kommt er – oder nicht“.

Über dermaßen ungebundene Vierbeiner können aber eigentlich immer nur die Schadenfrohen lachen, die nicht selber so ein Exemplar an der Backe haben. Wer nicht zu den Belächelten gehören will, lässt der Sache besser nicht seinen Lauf, bis der liebe Vierbeiner eines Tages mit ihm Schlitten fährt. Er sorgt beizeiten lieber für Bindungsaufbau, statt ihm immer „frei“ zu geben.

Frei im Haus?

Wenn man den Hund immer selbst entscheiden lässt, wo er sich im Haus aufhält, empfindet er das nicht als großzügig und nett. Wenn er überall hingehen und sich „frei Schnauze“ auf den Teppich, auf die Fliesen, auf den Sessel, auf die Terrasse, in den Flur oder die Küche oder sonst wohin legen kann, bekommt er vielmehr den Eindruck, dass seinen Menschen scheinbar alles völlig egal ist und er tun und lassen soll, was er will.

Besser: Im Haus bestimmte Ruheplätze einrichten, die er auf Anweisung einzunehmen hat.

Die Botschaft: Dieses Haus gehört mir. Ich bin der Chef und ich achte auf dich. Du bist mir nicht egal!

Frei im Garten?

Auch wenn man seinen Garten eingezäunt hat, ist es keine gute Idee, den Hund darin herumstromern zu lassen. Er soll ja nicht bereits dort schon zum lernen, sich alleine zu unterhalten.
Besser: Mit ihm in den Garten gehen, um ihm dort seine Lösestelle zu zeigen und mit ihm zu spielen und ihn anzuleiten.

Die Botschaft: Du gehörst zu mir. Es ist interessant, mit mir zusammen zu sein.

Frei beim Spazierengehen?

Es ist nicht sinnvoll, wenn man ihm auf den gemeinsamen Ausflügen ausschließlich beim Rumrennen und Schnüffeln zuschaut. Das ist nicht bindungsfördernd und auch nicht sozial.
Besser: Ihn unterwegs immer wieder mit Spielen und interessanten Aufgaben an sich binden.

Die Botschaft: Bleibe bei mir, denn ich will etwas von dir und habe dir etwas zu bieten. Du bist mein Begleiter – und nicht umgekehrt.

Rumrennen mit den Artgenossen

Meiner Meinung nach legen manche Hundebesitzer viel zu viel Gewicht darauf, mit ihrem Vierbeiner möglichst oft auf die „Hundewiese“ zu gehen, damit er sich mal „richtig austoben“ kann. Vor allem, wenn man diese Gelegenheit allzu gerne nutzt, um sich selber von dem „anstrengenden Hundehalter-Dasein“ zu erholen, statt sich selber mit ihm zu beschäftigen. Dann bleibt beim Vierbeiner schnell der Eindruck haften, dass es mit anderen Hunden besonders toll, bei seinem Menschen dagegen eher langweilig ist. Das ist einer guten Mensch-Hund-Beziehung nicht förderlich. Kontakte zu Artgenossen sind gut und wichtig, aber sie dürfen nicht an erster Stelle stehen.

Der Sicherheitsfaktor

Hunde sind naturgemäß nicht darauf aus, alleine für sich zu stehen und sich selber zu verteidigen. Aussprüche wie: „Der kommt schon klar“ oder „die regeln das schon unter sich“ entsprechen nicht ihren wahren Bedürfnissen.
Besser: In allen Lebenslagen für ihn einstehen, ihm Entscheidungen abnehmen und alle Angelegenheiten für ihn klären.

Die Botschaft: Ich bin für dich verantwortlich. In meiner Nähe geht es dir gut, denn bei mir findest du Schutz und Sicherheit.

Erfahrungsbericht Die Story

Wir waren auf der Weide bei unseren Pferden, als eine Wandergruppe den Weg entlang kam. Offensichtlich eine Familie, mit zwei Kindern und freilaufendem Hund. Die freundlichen Leute, die wohl von außerhalb kamen, sprachen uns an und meine Weidepartnerin begann ausführlich, ihnen den Weg zu ihrem Zielort zu beschreiben. Der schwarz-weiße Terrier rannte während dessen „frei herum“. Bald hatte er auf der anderen Wegseite einen Durchschlupf gefunden und trieb sich nun – unbeachtet von seinen Menschen – auf der Kuhweide herum. Es kam, was kommen musste – die Kühe wurden aufmerksam und kamen neugierig näher. Jetzt aber nix wie zurück – dachte der Hund – und zwar auf kürzestem Wege. Aber da war leider der Elektrozaun – und der hatte richtig Power drauf. Der Terrier schrie vor Schmerz und Entsetzten und rannte völlig panisch zwischen den Kühen und dem Stromdraht hin und her. Nun sahen die Erwachsenen endlich Handlungsbedarf und begannen, ihren Terrier beim Namen zu rufen. Bei seinen Versuchen, zu ihnen zu gelangen, kam er nochmals an den Strom. Die Kinder hatten einen Heidenspaß! Sie lachten lauthals über das Missgeschick ihres „doofen Hundes“ und auch die Erwachsenen amüsierten sich und waren der Meinung, der müsse „das schließlich mal irgendwann von selber lernen.“ (?) Ich konnte schon bald nicht mehr hinsehen, als der Terrier dann aber doch zu meiner Erleichterung einen Ausweg fand und hinter seinen fröhlich davon ziehenden „Bezugspersonen“ her rannte.

Fazit

Wie viel Freiheit ein Hund hat, entscheidet letztendlich darüber, was man von ihm erwartet. Je mehr man ihm davon einräumt, umso weniger Bindung wird man bekommen. Ein Hund nimmt es seinem Menschen nicht übel, wenn der ihn unter Kontrolle hält und er ist nicht „dankbar“, wenn er ihn möglichst oft machen lässt, was er will. Er wünscht sich den Schutz und die Anleitung seines menschlichen „Rudelführers“.

Bieten Sie ihm darum ein artgerechtes Leben! Laufen Sie mit ihm. Spielen Sie mit ihm. Machen Sie Sport mit ihm. Leiten Sie ihn an und bringen Sie ihm viel bei. Er braucht diese enge Verbindung zu seinem Menschen, um „ganz Hund“ zu sein.

 

autor_barbara_neuber

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