In vielen südlichen und osteuropäischen Ländern ist das Vergasen, Erdrosseln und Erschlagen von Hunden leider an der Tagesordnung. Ich bin mit dem bekannten Verhaltensforscher Günther Bloch einer Meinung, wenn er ausführt: „Besonnen angegangener Tierschutz ist und bleibt unterstützenswürdig. Dazu gehört besonders die DAUERHAFTE Vermittlung von Hunden aus dem Tierschutz.“ (Bloch 2007, Die Pizza-Hunde)
Sehr viele Menschen spielen mit dem Gedanken, einen Hund aus dem Tierschutz aufzunehmen. Ein Gedanke, der grundsätzlich zu befürworten ist. Man sollte sich allerdings gründlich überlegen, ob eventuell auftretende oder bereits vorhandene Probleme, die mitunter groß sein bzw. groß werden können, mit den eigenen Erwartungen an den Hund vereinbar sind. Denn schließlich geht es um die DAUERHAFTE Vermittlung des jeweiligen Hundes.
Oft steht der Wunsch, einem Hund Gutes zu tun, so stark im Vordergrund, dass man vergisst, auch über eventuelle Probleme, die auftauchen können, nachzudenken. Tierheim-Hunde haben eine Vergangenheit, die in vielen Fällen unbekannt bzw. nur zum Teil bekannt ist. Sie haben eventuell Probleme mit Männern, Kindern oder sind unser Alltagsleben in der Stadt nicht gewöhnt. Manchmal sind sie misshandelt worden, haben Angst oder Panik, haben nie gelernt zu spielen, sind nicht stubenrein, haben nie in einem Haus gewohnt – die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.
Mit Geduld ans Ziel
Keine Angst – mit Geduld, dem richtigen Umgang und dem nötigen Wissen können Sie vielen Problemen begegnen. Fragen Sie sich jedoch vorher, ob Sie bereit sind, mögliche Überraschungen in Kauf zu nehmen.
Geduld, Souveränität und gesunder Menschenverstand – das sind wichtige Eigenschaften, die Sie als Hundehalter mitbringen sollten. Zeit und Muße, sich mit einem Hund zu beschäftigen, sind ebenfalls vonnöten. Sie werden viele Jahre mit dem Vierbeiner zusammen leben und nicht immer wird alles nach Ihren Vorstellungen laufen.
Der Hund ist ein Lebewesen mit Ecken und Kanten, mit einem eigenen Charakter und Vorlieben, die Ihnen vielleicht nicht immer gefallen. Er benötigt Zeit, er verliert Haare und bringt auch einmal Schmutz in die Wohnung – er wird Sie aber auch zum Lachen bringen, Sie an die frische Luft „zwingen“ und mit Ihnen durch Dick und Dünn gehen. Wenn Ihr Leben von Hektik und Zeitdruck bestimmt wird, dann sollten Sie unbedingt von der Anschaffung eines Hundes absehen – ein problematisches Miteinander ist vorprogrammiert.
Besprechen Sie mit allen Familienmitgliedern, welche Eigenschaften der Hund haben sollte bzw. welche Eigenschaften sich gar nicht mit Ihrem eigenen Leben vereinbaren lassen. Dabei müssen Sie allerdings eines beachten: der Hund, den Sie im Tierheim sehen und den Sie zu sich nehmen möchten, wird sich bei Ihnen zu Hause weiter entwickeln. Dies kann bereits nach ein paar Tagen sein, oft aber erst nach Wochen und Monaten.
Ein oder mehrere Kennenlern-Tage oder ein Kennenlern-Wochenende helfen Ihnen dabei, einen ersten Eindruck zu gewinnen. Erwarten Sie jedoch keinesfalls, dass der Hund sich zukünftig immer genauso verhält, wie an diesen Tagen.
Denken Sie einmal an sich selbst. Sicherlich hatten Sie auch Probleme und Eingewöhnungszeiten, z. B. in der Ausbildung oder im Beruf. Wahrscheinlich waren Sie zu Beginn eher zurückhaltend und vorsichtig; später wurden Sie dann offener und selbständiger. Genauso verhält es sich mit den meisten Hunden.
Auffälligkeiten bei Tierheimhunden
Hunde aus dem Tierschutz haben oft die eine oder andere Auffälligkeit in ihrem Verhalten. Manchmal erledigen sich solche Auffälligkeiten wie von selbst, manchmal ist wochen- oder monatelanges Training notwendig.
Sehr oft höre ich von meinen Kunden: „Am Anfang war er ganz brav, aber jetzt nach ein paar Wochen zerrt er wie verrückt an der Leine, er kommt nicht, wenn man ihn ruft, er belästigt Besuch.“ usw. Ein klares Zeichen – Ihr Hund „taut auf“. Die Familie und die Umgebung sind vertrauter; Umweltreize, die vorher an ihm abgeprallt sind, werden nun ganz anders wahrgenommen und er reagiert auf seine ihm eigene Art darauf.
Es wird, je nach Charakter des Hundes, mitunter eine längere Zeit dauern, bis der Vierbeiner zu dem Hund wird, der er eigentlich ist. Der Hund im Tierheim ist in einer besonderen Ausnahmesituation: er ist meistens im Zwinger, kann nicht raus, wenn er das Bein heben muss, vielleicht sitzt im Zwinger nebenan ein guter Hundekumpel oder sein Todfeind – kurzum, es gibt immer viel Stress und Anspannung.
Für so manchen Hund aus dem Ausland ist das Leben in Deutschland ein wahrer „Kulturschock“. Stadtlärm, viele Menschen und viele Geräusche aus dem Alltag kennen sie nicht. Er zuckt bei jedem unbekannten Geräusch zusammen, will weglaufen, zerrt an der Leine, bellt Menschen an und mehr.
Sie helfen Ihrem Hund keinesfalls dadurch, indem Sie alle gefährlichen Situationen vermeiden. Sie müssen Ihrem Hund unbedingt dabei helfen, seine Ängste abzubauen. Dabei ist unter Umständen sehr viel Geduld notwendig – Sie müssen in Wochen oder Monaten denken. Manchmal geht es nur in kleinsten Schritten und Sie werden vielleicht Monate brauchen, bis Ihr Hund entspannt neben Ihnen liegt, wenn Sie ein Eis essen oder einen Kaffe trinken.
Auch wenn Sie, wie ich, die Natur bevorzugen – es ist Ihre Pflicht, dem Hund bei der Angstbewältigung in Alltagssituationen zu helfen und „das normale Leben“ zu zeigen . Zu viel Angst führt unweigerlich zu Stress, zu viel Stress führt irgendwann zu körperlichen Beschwerden bis hin zu großen gesundheitlichen Einschränkungen.
Tierheimhunde: Problemfaktor Stress
Bei Hunden aus dem Tierschutz ist Stress oft ein großes Problem. Über Stress, seine Auswirkungen und den Umgang mit Stress-Situationen Bescheid zu wissen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben für jeden Hundehalter.
Stress ist nichts grundsätzlich Schlechtes – beim Hund handelt es sich um eine überlebenswichtige Reaktion auf mögliche Gefahren. Dabei reagiert das Tier mit Flucht oder Angriff. Probleme gibt es dann, wenn Stress zu lange andauert, zu heftig ist oder der Hund nicht gelernt hat, wie man mit Stress umgeht.
Angst, Isolation, häusliche Unruhe, Konflikte, Überforderung, Unterforderung sind nur einige Stressfaktoren, denen Tierheimhunde oft ausgesetzt waren. Langzeitstress wird nicht in wenigen Tagen oder Wochen abgebaut. Hunde, die lange Zeit starkem Stress ausgesetzt waren, brauchen vor allen Dingen ein Umfeld, wo sie sich geborgen und sicher fühlen können. Dazu gehört insbesondere, dass sich die neuen Besitzer aus Sicht des Hundes berechenbar benehmen.
Sehr viele Tierheimhunde sind ängstlich, manchmal sogar extrem ängstlich bis hin zu Panikattacken. Hier ist sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt. Mitleid wird diesem Hund nicht weiterhelfen. Gerade dem ängstlichen Hund müssen Sie ein souveräner und sicherer Orientierungspunkt sein.
Sie werden Situationen erleben, die Ihnen unbegreiflich sein werden. Der selbe Hund, der vor Angst erstarrt, weil eine Schnecke vor ihm auf dem Boden kriecht, kann durchaus einige Minuten später Jogger anspringen oder Männer verbellen. Dinge, die für uns völlig normal sind – zum Beispiel Mülltonnen, Baustellen, Fußgängerzonen, Straßenverkehr – können ihn dermaßen verunsichern, dass gar nichts mehr geht.
Hunde aus dem Tierschutz sind meist gewöhnt, Hundekontakte zu haben. Daher sollte der Hund unbedingt weiterhin regelmäßigen Kontakt zu Artgenossen haben. Verabreden Sie sich mit anderen Hundehaltern und/oder suchen Sie eine gute Hundeschule, die entsprechende Gruppen für Hunde anbietet. Ansonsten geschieht es oft, dass der Hund mangels sozialer Kontakte frustriert wird und Aggressionen oder andere Fehlverhalten entwickelt.