Hallo Ihr Schuhträger!
Ihr wisst schon, was euch gut tut. Wir Hunde haben halt keine Sohlen unter den Füßen. Unser Vorteil dabei ist, dass wir nicht dem Diktat der Mode unterliegen und keinen Schuhschrank brauchen. Unser Nachteil sind unsere ungeschützten Pfoten. Und das ist ein fataler Nachteil, das könnt Ihr mir glauben! Zumindest hier in unserer Stadt. Da liegt so viel kaputtes Glas herum, man glaubt es nicht. Mutmaßlich würden alle Container dieser Stadt nicht reichen, wenn man die herumliegenden und zerbrochenen Flaschen auf einmal aufsammeln würde. Da sei die Frage gestattet, wie all das Glas auf die Straßen, Bürgersteige und sogar Wiesen gerät.
Sagt Ihr Menschen, wisst Ihr eigentlich, was Ihr uns damit antut? Letzte Woche war ich ja etwas angeschlagen. Nein, es war kein Pfotenschnitt, ich hatte einfach – das ist mir jetzt doch etwas peinlich – ich hatte ein bisschen zu lange in der Sonne gelegen und deshalb so’n paar Probleme mit dem Kreislauf. Naja, auf jeden Fall packte Meiner mich ein und fuhr mit mir zum Tierarzt. Wir also ab ins Wartezimmer und wen glaubt Ihr treffe ich da? Den alten Ben!
Wer Ihn noch nicht kennt: Ben ist ein sehr guter und sehr weiser Freund von mir. Er ist schon etwas älter, aber immer noch ein äußerst stattlicher Neufundländer. „Hi, alter Kumpel! Wie isset? Wat machse hier?1“ mein Kreislauf war schon fast wieder auf Kurs. „Hallo Bertie, alter Wadenbeißer!“ das sagt er immer zu mir, er ist übrigens der Einzige, der das ungestraft darf. „Ach ich bin doch vor sechs Wochen oben auf der Halde2 in diese Scherbe getreten. Scheint ’ne unendliche Geschichte zu sein. Muss wohl am Alter liegen.“ Da schaltete sich ungefragt ein junger Schnösel von Beagle ein: „Das liegt nicht am Alter! Ich trage schon acht Wochen Verband. Der Weißmann meint, das liegt wohl daran, dass ich immer damit schwimmen gehe. Gehst Du auch immer schwimmen?“ Der alte Ben brummte den kleinen Wicht an, wie ich es nur selten von Ihm erlebt habe und grunzte so etwas wie: „Hat Dich jemand nach Deiner Meinung gefragt Du Fleckenteppich?“ Ich merkte gleich, dem alten Ben ging es nicht wirklich gut und ich musste ihn irgendwie wieder aufbauen, sonst wär der Beagle bald ein Fall für die Intensivstation. „Wie ist es denn passiert, Ben?“ „Ach, wie das so passiert. Ich hab mich ein paar Meter in die Büsche geschlagen, wollte mich gerade in diese Position bringen, du weißt schon – und da hab ich auch schon diesen jähen Schmerz gespürt. Erst dachte ich noch, es wäre wieder die Arthrose. Aber als ich mein Geschäft beendet habe, da merkte ich schon, dass es was anderes sein musste. Und was macht mein Napfschlepper?“ „Keine Ahnung, er hat wahrscheinlich nach deiner Pfote gesehen …“ „Das glaubst Du auch nur. Der hat natürlich ordnungsgemäß meinen Haufen aufgesammelt! Das ich auf drei Beinen herum humpelte, hat der erst gemerkt, als er vom Abfalleimer kam.“ „Iss ja wohl nich wahr! Aber dann hat er es gemerkt!?“ „Ja, und iss mit mir zum Weißmann gehumpelt. Tragen kann er mich ja nich, der Schwächling.“ „Meiner hätte mich getragen, da kannze aber drauf an.“ „Meine Herrin hat mich …“ der Beagle wurde von Bens genervtem Blick jäh unterbrochen und hielt von nun an seine Schnauze. „Und was hat der Weißmann gemacht?“ fragt ich schnell, um den alten Ben auf andere Gedanken zu bringen. „Zwei Stiche, drei Spritzen und ein Verband, so dick wie du … natürlich ohne Betäubung. Mit som Trottel wie mir kann man`s ja machen!“ Der Beagle wurde inzwischen ins Behandlungszimmer gebeten und fing auf dem Weg dahin schon mal vorsorglich an, hysterisch zu jaulen. Der alte Ben warf ihm noch einen mitleidigen Blick hinterher. „Iss schon Kacke mit dem Glas! Aber ist ja auch klar, dass das überall `rumliegt. Die, die die Flaschen leertrinken haben ja keinen Napfschlepper der ihre Flaschen wieder aufhebt, wenn sie sie ausscheiden.“ „Ausscheiden?“ fragte ich. „Ja, ist doch nichts anderes als bei uns! Wir können unsere Würste ja auch nicht selber entsorgen. Wir würden sie doch einfach liegen lassen.“
Hm, da hatte der alte Ben mal wieder Recht. Vielleicht sollten die Leute, die das Glas auf die Erde fallen lassen, wirklich ein Herrchen oder ein Frauchen an die Seite gestellt bekommen, die sich darum kümmern. Dann könnte man sie auch gleich an die Leine nehmen und ihnen einen Flaschenkorb verpassen. Und wenn dann doch mal, ganz aus Versehen, eine Flasche hinfällt, dann muss das Herrchen der Flasche 35,- € bei den Rotmützen3 abdrücken. So wie Meiner das auch schon mal musste, weil er leider „übersehen“ hat, dass ich ein kleines Häufchen in der Wiese liegen gelassen hatte. Genau genommen, müsste es sogar sehr viel teurer sein: Mein Haufen der ist doch spätestens in sechs Wochen verschwunden, aber so eine Flasche liegt auch noch in tausend Jahren da, wenn sie kein Orangekittel aufhebt. Mmh, lass mal rechnen: 30 geteilt durch sechs, mal 52 und das dann mal 1000, das sind … (zwei im Sinn …, ein dazu …) 260.000,- €! Ich kann zwar nicht beurteilen, ob das viel Geld ist, aber ich finde es wäre eine äußerst gerechte Strafe, wenn ich mir den alten Ben so anschaue!
Euer Bertie
© Hundeschule WIR2 | Autor: Ralf Lindner | Vervielfältigung nur zum privaten Gebrauch | Veröffentlichung in jeglicher Form nur nach schriftlicher Genehmigung | Mehr zu „Bertie“ findet Ihr auf www.bertie-der-terrier.de und www.hundeschule-wir2.de
1 „Wie geht es Dir“ „Was machst du hier?“
2 Halde: nicht, dass Ihr denkt, wir laufen auf Müllhalden herum. Im Ruhrpott gibt es jede Menge renaturierter, begrünter Abraumhalden (Abraum = unbrauchbares Fördermaterial der Zechen) auf denen es sich prima toben lässt“
3 Die Bediensteten der Ordnungsbehörden tragen im Ruhrpott rote Barret-Mützen und sehen sowas von bescheuert damit aus, dass sie nun wirklich keiner ernst nehmen kann …