Hallo Ihr lieben Zugobjekte!
Oft wird Meiner1 danach gefragt, was er denn mit mir angestellt habe, damit ich an der Leine so brav an anderen Hunden vorbei gehe. Darauf zuckt er meist nur mit den Schultern und antwortet so etwas wie, „Nichts“ oder „Nichts besonderes“. Und damit hat er einerseits recht und andererseits auch wieder nicht. Je nachdem, wie man das so sieht.
Ich bin zwar ein ausgesprochen tolles Exemplar von einem Terrier, aber so ganz und gar unschuldig an meiner ausgeglichenen Art ist Meiner nun doch nicht. Jetzt, wo ich mal so richtig darüber nachgedacht habe, muss ich ihm tatsächlich ein großes Lob ausstellen. Denn mittlerweile habe ich gelernt, dass Ihr Menschen euch anscheinend besonders schwer damit tut, nichts Besonderes zu tun.
Für einen Hund ist es erst einmal nicht normal, schnurgerade auf einen anderen zu zulaufen. Wenn Ihr mal richtig hinschaut, laufen wir bei einer Begegnung meist in einem mehr oder weniger weiten Bogen auf den Anderen zu. Dabei bleibt dieser, so es denn ein Hund ist, meistens ganz ruhig stehen. Beides, das Bogen laufen und das Stehen bleiben, dient dazu, den jeweils anderen davon zu überzeugen, dass man selbst nichts Böses im Schilde führt. Gerade aufeinander zulaufen und anstarren heißt aber in der Hundesprache ganz klipp und klar „Jetzt bist Du fällig!“
Nun weiß ich aus vielen gesammelten Erfahrungen, dass bei so einer Begegnung auf der Straße oder einem Weg, tatsächlich nichts passiert, aber ein mulmiges Gefühl bleibt immer noch. Trotzdem bleibe ich gelassen, weil Meiner sich – wahrscheinlich instinktiv, falls es so etwas bei euch Menschen gibt – im Prinzip so verhält, wie ein Hund, der einen anderen beruhigen möchte.
Als erstes einmal läuft er immer so, dass er zwischen mir und dem anderen Hund bleibt. Das nennen eure Wissenschaftler „Splitten“. Dieses „Splitten“ hat zwei wichtige Botschaften für uns Hunde: Erstens drückt Meiner damit aus, dass er die Situation klärt und ich mir ja nicht einbilden sollte, dass dies auch nur annähernd in meine Zuständigkeit fallen könnte. Und zweitens hat das „splitten“ einen beruhigenden Charakter, weil der Abstand der beiden potentiellen Kontrahenten vergrößert und deren Blickkontakt be- bzw. verhindert wird.
Dazu kommt noch, dass Meiner in solchen Situationen mir so gut wie keinerlei Beachtung schenkt und dass er mir genau so viel Leine zur Verfügung stellt, wie eben vor der Begegnung. Somit habe ich genau so viel Bewegungsspielraum wie vorher und werde nicht zusätzlich auf die Brisanz der Situation hingewiesen.
Viele Menschen die uns mit Ihren Hunden begegnen, machen das komplett anders. Meistens kann ich schon von der anderen Straßenseite riechen, wie ihr Adrenalinspiegel steigt. Sie nehmen die Leine kürzer und fester in die Hand, um ihrem Hund klar zu machen, dass er jetzt ruhig bleiben soll. Aber wie bitte soll ein Hund ruhig bleiben, wenn er merkt, dass das andere Ende seiner Leine aufgeregt und ängstlich ist?
Stellt euch bitte einmal vor, ein Freund läuft mit seiner Freundin Hand in Hand durch einen dunklen Park. Mitten im Park kommt den beiden jemand entgegen. Nun bemerkt die Freundin, dass die Hand ihres Freundes schwitzt, dass sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bilden und dass er plötzlich schneller läuft und sie immer fester hält. Wird diese Freundin entspannt sein?
Wir Hunde nehmen solche Veränderungen um ein vielfaches besser und schneller wahr, als Ihr. Uns reicht ein einziges Adrenalinmolekül, um stutzig zu werden. Und über die gespannte Leine spüren wir sofort eure Erregung, euren schnelleren Herzschlag, kurzum euren Alarmzustand. Dabei würde kein Hund der Welt auf die Idee kommen, dass er selbst der Grund für diese Erregung ist. Er wird immer versuchen den Grund dafür in seinem weiteren Umfeld zu finden. Und dann ist es nur absolut logisch für ihn, dass „das“ was da gerade entgegen kommt, der Feind ist, der seinen Menschen in den Alarmzustand versetzt hat. Also wird er alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, einsetzen, um diesen Feind zu vertreiben. Je öfter ihm das gelingt, desto sicherer wird er, dass sein Verhalten genau das Richtige ist.
Später wird er es auch dann zeigen, wenn das andere Ende der Leine den anderen Hund, oder was da sonst so entgegen kommt, noch gar nicht bemerkt hat. Daraufhin schließt sich der Kreis erneut, denn die Leine wird sofort wieder fester gehalten und verkürzt, vielleicht wird sogar etwas lauter gesprochen und schon wird das Verhalten des Hundes bestätigt. Wir denken eben ein bisschen anders als Ihr.
Euer Bertie
© Hundeschule WIR2 | Autor: Ralf Lindner | Vervielfältigung nur zum privaten Gebrauch | Veröffentlichung in jeglicher Form nur nach schriftlicher Genehmigung | Mehr zu „Bertie“ findet Ihr auf www.bertie-der-terrier.de und www.hundeschule-wir2.de
1 Als „Meiner“ oder „Meine“ bezeichnen Paare Ihr nicht (mehr) ganz so heiß geliebtes Gegenstück. Beim Bäcker heißt es dann z.B.: „Geben se mich ma noch zwei von die Puddingteilchen mit die Erdbeern drauf – die isst Meiner (anstelle von „mein Mann“) doch so gerne!“ „Meiner“ ist also Bertie sein Herrchen, sein Napfschlepper, sein Mensch!